Achtsam morden im Hier und Jetzt: Roman (Achtsam morden-Reihe 4) (German Edition) by Karsten Dusse

Autor:Karsten Dusse [Dusse, Karsten]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne Verlag
veröffentlicht: 2022-09-13T22:00:00+00:00

26 VERHANDELN

»Der Trick beim achtsamen Verhandeln ist es, den eigenen Triumph wertungsfrei und liebevoll im Raume stehen zu lassen. Das gibt dem Gegenüber die Möglichkeit, sich sein völlig vergeigtes Ergebnis als eigenen Erfolg schönzureden.«

JOSCHKA BREITNER,

»ENTSCHLEUNIGT AUF DER ÜBERHOLSPUR –

ACHTSAMKEIT FÜR FÜHRUNGSKRÄFTE«

MEINE TOCHTER RANNTE aus dem Schulgebäude heraus auf mich zu.

Sie lief anders, sie rief anders, sie wirkte ganz anders als gestern Morgen auf dem Schulhof.

Aus meinem kleinen Kindergartenkind war innerhalb von einem Tag auch körperlich eine Erstklässlerin geworden.

»Paapaaaaaa!«, brüllte sie und sprang auf mich zu.

Mein erster Versuch, Emily in die Arme zu schließen, scheiterte am Umfang ihres Ranzens. In einem zweiten Versuch fasste ich sie unter ihren Achseln und wollte sie hochheben.

Wieder scheiterte ich am Ranzen. Diesmal nicht am Umfang, sondern am Gewicht. Ein Stich raste durch meine Wirbelsäule.

»Du meine Güte, was hast du denn in deinem Ranzen alles drin?«, versuchte ich, meinen Schmerz gegenüber Emily zu überspielen.

»Alles Bücher!«

Mit einem leichten Knacken meiner Wirbel ließ ich Emily und ihren Schultornister wieder auf den Boden herunter, drehte beide um hundertachtzig Grad und öffnete die Klappe ihres Kinder-Kofferraums. Er war in der Tat randvoll bepackt mit Büchern und Heften.

»Mein Gott – all das schwere Zeug müsst ihr mit euch rumschleppen?«

»Nicht immer – nur am ersten Tag.«

In diesem Moment kam auch Peter mit Lukas zurück zu seinem Fahrrad. Peter trug bereits Lukas’ Ranzen. Er hatte meine letzte Bemerkung gehört.

»Unglaublich, was die Kleinen alles schleppen müssen, was? Die sind fast so schwer bepackt wie Kinder in einer afrikanischen Kobaltmine. Deshalb benutze ich ein elektronisches Lastenfahrrad.«

»Ich glaube, die Kausalität ist umgekehrt«, konnte ich mir nicht verkneifen.

»Wie meinst du das?«

»Weil du ein elektronisches Lastenfahrrad benutzt, sind die Kinder in afrikanischen Kobaltminen so schwer bepackt.«

Peter schien sich deswegen nicht den Kopf zu zerbrechen. Er hatte einen Helm auf.

»Das Rad fährt doch gar nicht mit Kobalt, sondern mit Ökostrom?!«

»Richtig, Peter. Sorry, hab ich gar nicht dran gedacht. Ökostrom. Dann ist ja alles in Ordnung. Schönen Tag euch noch.«

Ich sah ihm hinterher, wie er batteriegetrieben einer besseren Zukunft entgegenradelte. Jedenfalls der Zukunft, die er hinter seinem behelmten Denkhorizont vermutete.

»Was machen wir jetzt?«, wollte Emily von mir wissen.

Einen Wagen und eine Leiche verschwinden lassen, war nicht die Antwort, die ich ihr geben konnte. Aber irgendwie musste ich meine zu erledigenden Aufgaben und die Kinderbetreuung unter einen Hut bringen.

Sascha konnte ich keine dieser beiden Aufgaben übertragen. Er war als Kindergartenleiter noch bis mindestens sechzehn Uhr mit der Betreuung von wesentlich mehr Kindern eingespannt.

In Emilys ehemaligem Kindergarten. In meinem Wohnhaus.

Und wenn ich Emily einfach im Kindergarten abgeben würde …?

Zwei Dinge sprachen dagegen: die Liebe zu meiner Tochter und die Angst vor ihrer Mutter.

So gerne ich die Zeit mit meiner Tochter verbringen wollte, heute musste ich in Bezug auf die Liebe zu meiner Tochter nachhaltig berechnend denken. Heute kurzfristig viel Zeit mit ihr zu verbringen konnte dazu führen, mittelfristig wesentlich weniger Zeit mit ihr verbringen zu können. Weil ich stattdessen mindestens wegen der offensichtlich vergeigten Vertuschung einer Straftat im Knast sitzen würde.

Je mehr Emily-Zeit ich hingegen in die erfolgreiche Vertuschung von Dieters

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